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Heribert Franz Köck

Abstract

Das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht ist ungeachtet der ein-deutigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs noch immer umstritten. Insbesondere wird in ei-nem Teil der Literatur, aber auch in der Rechtsprechung einzelner mitgliedstaatlicher Höchstgerichte der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor mitgliedstaatlichem Verfassungsrecht in Frage gestellt. Dies geschieht in der Regel aber nicht prinzipiell; vielmehr werden entweder nur bestimmte Teile der Ver-fassung für unveräußerlich und damit "integrationsfest" erklärt oder es wird das Gemeinschaftsrecht nur insofern als verbindlich angesehen, als es sich im Rahmen der vom Mitgliedstaat an die Gemein-schaft übertragenen Kompetenzen bewegt. Zwar sind Kompetenzüberschreitungen seitens der Ge-meinschaftsorgane auch nach EG-recht nichtig und vom EuGH durch Aufhebung des betreffenden Akts zu korrigieren; ein Konflikt zwischen nationalem und Gemeinschaftsrecht ist aber dort unaus-weichlich, wo Gerichte wie das deutsche Bundesverfassungsgericht den Anspruch erheben, auch Ur-teile des EuGH zu ultra vires-Akten erklären zu können, wenn sie mit dessen Auslegung der Gemein-schaftskompetenzen nicht einverstanden sind.
Eine solche Kompetenz mitgliedstaatlicher Gerichte ist aber mit dem heute als axiomatisch an-zusehenden Primat des Völkerrechts unvereinbar, der auch für das Verhältnis von Gemeinschafts-recht und mitgliedstaatlichem Recht gelten muss, weil der EG-Vertrag unabhängig von der Qualifikation der von ihm geschaffenen Rechtsordnung als supranational jedenfalls auch ein völkerrechtli-cher Vertrag ist, für dessen Gültigkeit und Auslegung daher die Regeln des Völkerrechts heranzuzie-hen sind. Diese verbieten einem Staat, sich auf sein innerstaatliches Recht zu berufen, um einen ge-schlossenen Vertrag nicht zu erfüllen. Eine allfällige ursprüngliche Ungültigkeit des EG-Vertrags we-gen Überschreitung nationaler Integrationsermächtigungen wäre durch seine jahrzehntelange An-wendung längst saniert. Vorbehalte zugunsten einzelner mitgliedstaatlicher (Verfassungs-) Rechtsord-nungen hätten beim Vertragsabschluss angebracht und von den anderen Vertragsparteien akzeptiert werden müssen. Und anzunehmen, jedem Vertrag wäre die stillschweigende Klausel beigesetzt, er gelte nur solange, als er nicht von einem innerstaatlichen Gericht für (ganz oder teilweise) unan-wendbar erklärt worden sei, wäre mit dem zentralen völkerrechtlichen Prinzip pacta sunt servanda gänzlich unvereinbar.
Im Übrigen muss auch für das Verhältnis von mitgliedstaatlichem Recht und Gemeinschafts-recht der schon dem Recht der (einfachen) internationalen Organisationen bekannte Grundsatz der Funktionabilität gelten, nach welchem Staaten, die eine solche Organisation gründen und mit Kom-petenzen ausstatten, akzeptieren, dass deren Organe ihre Kompetenzen selbst bestimmen, wobei auch ultra vires-Akte in Kauf genommen werden müssen, soweit dieselben nicht so grundlegende Prinzi-pien verletzten, wie sie sich die Europäische Union selbst in Art. 6 Abs. 1 EU vorgegeben hat. Wo die Staaten aber, wie in der Europäischen Gemeinschaft, ein Gericht, nämlich den EuGH, zur Ausle-gung des Gemeinschaftsrechts eingesetzt haben, widerspräche es überdies dem Wesen der Gerichts-barkeit als Streitentscheidung durch eine unabhängige Instanz, wollte sich einer von ihnen anmaßen, das Urteil dieses Gerichts noch einmal seinem eigenen Urteil zu unterwerfen.

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